Streitfrei durch Hinterfragen

Druck erzeugt Gegendruck, das Prinzip ist auf vielen Ebenen bekannt: im Sport genauso wie in den eigenen Denkstrukturen. Die äußere Kommunikation macht dabei keine Ausnahme. Je intensiver im Gespräch Druck auf den Gesprächspartner aufgebaut wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Druck von dort zurückkommt. Frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung” gibt es eine Abwehrreaktion, wie z.B. eine Rechtfertigung oder eine Schuldzuweisung. Das Thema bauscht sich auf, bis einer klein beigibt, den Rückzug antritt oder das Gespräch ergebnislos abgebrochen wird.

Entstehung eines Streits

Die Untersuchung von Streitgesprächen macht deutlich, dass vielfach das gleiche Schema abläuft.

Person 1 stellt eine Frage, die Person 2 als „Druck” empfindet. Person 2 leitet unverzüglich entsprechende Abwehrmaßnahmen ein, um seine „Haut” zu retten oder einen vermeintlichen Fehler zur vertuschen. Diese Reaktion erfolgt automatisch, sobald eine Aussage als verbaler Angriff wahrgenommen wird. Dabei ist es unerheblich, ob es tatsächlich einen Angriff gab oder um welches Thema es sich handelt.

Person 1 wird vom Gegenangriff überrascht und reagiert ebenfalls automatisch auf die Gegenwehr. Damit ist das Gespräch komplett auf der emotionalen Ebene angekommen und kann – im ungünstigen Fall – bis zur Eskalation führen.

Beispiel aus dem Alltag

Person A: „Hast du das Angebot schon geschrieben?” Person B: „Nein, ich musste ja andauernd ans Telefon gehen, weil du außer Haus warst.” A: „Es ging schließlich um einen großen Auftrag und war wichtig!” B: „Toll, aber wie ich hier zurechtkomme ist dir egal. Ich soll wieder alles gleichzeitig erledigen.” …

Im Detail: Der Prozess hinter dem Streit

Wie entsteht dieser Streit, was läuft blitzschnell im Hintergrund ab?

Person B hat am Vortag die Erledigung des Schreibens bis 12 Uhr zugesagt und ihr ist bewusst, dass sich das wegen der äußeren Umstände nicht erfüllen lässt. Person A fragt nach: „Hast du das Angebot schon geschrieben?”

Person B antwortet: „Nein, ich musste ja andauernd ans Telefon gehen, weil du außer Haus warst.” Der Angriff zeigt Wirkung, Person A fühlt sich zu Unrecht beschuldigt und geht emotional – mit einer Rechtfertigung – darauf ein: „Es ging schließlich um einen großen Auftrag und war wichtig!”

Person B registriert die erfolgreiche Ablenkung und setzt direkt mit der Aussage nach: „Toll, aber wie ich hier zurechtkomme ist dir egal. Ich soll wieder alles gleichzeitig erledigen.”

Dieser persönliche Angriff soll ein schlechtes Gewissen bei Person A hervorrufen und tut das häufig auch. Damit ist der Streit auf der persönlichen und emotionalen Ebene angekommen und wird weiter vorangetrieben.

Das Beispiel soll deutlich machen, wie sich ein Gespräch aus dem Nichts in einen unnötigen Streit verwandeln kann und kein gutes Ende findet. Zusätzlich hat es den Nachteil, dass damit eine Erinnerung gespeichert wird, die vielleicht eine (schlechte) Grundlage für das nächste Gespräch sein wird.

Gab es tatsächlich einen Angriff?

Mir sei die folgende Frage gestattet: Was wäre, wenn es gar keinen Angriff gegeben hätte? Wie wäre das Gespräch dann verlaufen?

Oftmals hören Menschen das, was sie hören „wollen”, nicht das, was gesagt worden ist. Die bekannte Sender-Empfänger-Problematik schlägt gnadenlos zu. Das Gehirn stellt Aussagen häufig in einen Kontext, der nicht der Realität entspricht. Es greift auf vorhandene Erwartungshaltungen, Erinnerungen, Glaubenssätze usw. zurück, verändert oder verfälscht die Wahrnehmung und löst dadurch eine unangemessene Reaktion aus, die dann zur Eskalation führen kann.

Sachliches Hinterfragen verändert den Gesprächsverlauf

Es besteht Hoffnung: Der beschriebene Mechanismus lässt sich aushebeln.

Person A stellt ihre Frage: „Hast du das Angebot schon geschrieben?” Bemerkt Person B, dass sie die Frage als einen Angriff registriert oder dass sich innerliche Empörung breitmacht, stoppt sie diesen Gedankengang für einen Moment und hinterfragt bei Person A, ob die eigene Wahrnehmung den Tatsachen entspricht. Mit einer Wortwahl wie: „Habe ich das richtig verstanden, du machst mir einen Vorwurf daraus, dass ich das Angebot noch nicht fertig habe?” bin ich bisher gut gefahren.

Damit bleibt Person B vorerst auf der Sachebene und Person A kann antworten. „Nein! Ich wollte nur wissen, ob du zum Schreiben gekommen bist, weil ich außer Haus war und du das Telefon alleine übernehmen musstest. Falls nicht, kann ich die Arbeit jetzt übernehmen.”

Neue Gesprächsqualität

Damit stellt sich die Situation völlig anders dar, als Person B erwartet hat. Es gab keinerlei Vorwurf von Person A, sondern Verständnis für die äußeren Umstände und für die daraus resultierenden Gegebenheiten. Person B kann ihre innere Empörung wieder herunterfahren und gelassen weiterarbeiten.

Das Gespräch nimmt einen komplett anderen Verlauf und die Kommunikationsqualität steigt. Man „arbeitet” miteinander anstatt gegeneinander, zeigt Verständnis statt Vorurteile und der wertschätzende Umgang lässt den Alltag leichter werden.

Fazit

Der Satz „Habe ich das richtig verstanden, …” sorgt für den Verbleib auf der Sachebene, in der Menschen erfolgreich miteinander kommunizieren können. Emotionen, die aus inneren Strukturen auftauchen, wird der direkte Einfluss auf die Kommunikation entzogen. Damit lassen sich viele Missverständnisse ausräumen und echte Probleme können lösungsorientiert behandelt werden.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Testen, denn mir hat diese Methode viele Erkenntnisse beschert, die mich heute noch schmunzeln lassen. Gern können Sie mich und die Leser des Artikels an Ihren Erlebnissen teilhaben lassen, indem Sie mir einen Kommentar schreiben.

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Blogbeitrag: Juli 2020 / Bildnachweise: https://pixabay.com/

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