Die Ehre der anderen

Wenn Menschen an anderen Menschen herumnörgeln, könnte das an der angekratzten Ehre der Nörgler liegen. Doch das wird selten so eingeordnet. Bekommt man Ärgerlichkeit entgegengeschleudert, sind die betroffenen Personen selten in der Lage, das neutral zu betrachten und festzustellen, dass das nichts mit mir zu tun hat. Ob in der Familie oder auf der Straße: Das Erkennen, wenn die Ehre der anderen angekratzt ist, ist eine echte Herausforderung.

Neulich in Dortmund

Ein schöner Morgen, die Sonne scheint und meine Freundin beschließt, etwas für ihre Gesundheit zu tun und macht sich walking-bereit. Sie nutzt einen schönen Rad- und Fußgängerweg in einem Grüngürtel, um dort ihrer Entspannung und Fitness zu frönen.

Das Wetter lockt weitere Menschen ins Freie, überwiegend mit vierbeinigen Begleitern, die auf diesem Weg an der Leine geführt werden sollten. Jeder, der die klassischen Strecken hin und wieder aufsucht, weiß, dass das nicht immer funktioniert.

Meine Freundin hat Respekt vor Hunden. Doch kam sie in ihrer bisherigen Walkingkarriere nicht umhin, sich damit zu arrangieren, dass man aufeinandertrifft. Die überwiegend positiven Erlebnisse haben ihr vermittelt, dass der beste Freund des Menschen auf ein Wort reagiert und sich an dessen Seite begibt, um dort wie angewurzelt stehen oder sitzen zu bleiben, bis der Sporttreibende vorbei ist. Danach erfreut sich der Vierbeiner weiter an der Leinenfreiheit und rennt im Regelfall in die andere Richtung.

Aus heiterem Himmel

Der Großteil der Strecke war geschafft, als sie einen (nicht gerade kleinen) Hund leinenlos rechts und links des Weges, den interessanten Gerüchen folgend, sah. Der Hundebesitzer bemerkte ihre Irritation und rief den Hund zu sich. Er stand – immer noch leinenlos – neben seinem Herrchen und machte, kaum, dass sie nähergekommen war, den Eindruck, jeden Moment losstürmen zu wollen. Als er sich tatsächlich etwas vom Bein wegbewegte, wich meine Freundin kommentarlos auf die Wiese aus.

Die Ehre des Herrchens

Soweit alles gut. Bis auf die Ehre des Hundeführers. „Glauben Sie, ich habe meinen Hund nicht unter Kontrolle?” mopperte er sie an. Ihre Antwort kurz und knapp: „Ich bin nur unkommentiert an die Seite gegangen” und dachte dazu „Sie haben wohl noch den Ärger mit dem letzten Jogger im Gedächtnis.”

Er regte sich richtig auf, dass das eine Unterstellung und unverschämt wäre. Sein Hund wäre nicht ohne Leine unterwegs, wenn er nicht hören würde und so weiter und so weiter.

Sachen gibt’s …

Seine Unwissenheit (oder Ignoranz), dass es bei einem Nicht-Hundebesitzer, Jogger oder Walker Angst bzw. Unsicherheit auslösen könnte, wenn der Hund unruhig ist, weder festgehalten oder an die Leine genommen wird, hat mich erstaunt.

Noch mehr verblüfft hat mich die sofortige verbale Anschuldigung, als sie sicherheitshalber ohne ein Wort auf die Wiese ausgewichen ist.

Wie ist das mit der Ehre?

Bleibt die Frage: Was steckt dahinter? Warum ist sein Ego angesprungen, warum hat das an seiner Ehre gekratzt?

Ich vermute ich, dass

  1. er früher einen Hund hatte, der nicht gehorsam war.
    • Vielleicht macht er sich innerlich noch Vorwürfe, mit denen er sich nicht weiter auseinandergesetzt hat, sondern auf andere projiziert. In diesem Fall auf meine Freundin.

  2. ihm schon mal jemand unterstellt hat, dass er seinen Hund nicht unter Kontrolle hat.
    • Dann beruht die Reaktion auf einer unangenehmen Situation aus seiner Vergangenheit. Diese ist nicht verarbeitet, kratzt weiter an ihm und seiner Ehre und jeder, der in diese Wunde piekt, wird angegriffen.

  3. er anfangs mit dem Tier Probleme hatte und sehr lange mit dem Hund trainiert hat, damit dieser gut bei Fuß gehen kann.
    • Seine Ehre ist angekratzt, weil der bisherige Erfolg (jetzt hört der Hund aufs Wort) – sichtbar durch das Ausweichen auf die Wiese – durch fremde Personen infrage gestellt wird. Ergänzend löste das eine Unsicherheit bei ihm aus.

  4. er sich über irgendetwas völlig anderes aufgeregt hat und sich nun ein willkommener Anlass bot, etwas Dampf abzulassen.
    • Einen anderen Menschen als Ventil zu benutzen, ist definitiv nicht nett, passiert aber ziemlich häufig.

Meine Freundin hat mit dem kommentarlosen Ausweichen, ohne es zu wissen, den Finger in eine Wunde gelegt und vielleicht war noch etwas Salz dabei. Trotzdem musste sie sich erst mal einige Zeit damit beschäftigen, um wieder „runterzukommen”.

Strategie für den Umgang

Was macht man in dieser Situation? Nachdem man sich von der Überraschung erholt hat, überlegt man, ob man dem anderen einen Anlass dazu gegeben hat.

Ist die Antwort „ja”, schaut man sich die eigenen Themen an und fragt sich: „Warum habe ich so reagiert?”

Ist die Antwort „nein” wird deutlich, dass es ein Thema des Gegenübers ist. Man hat dabei nur die Rolle des Aufzeigers, damit der Absender bemerkt, wo er seine Themen hat. In diesem Fall hakt man es ab und denkt (oder sagt): „Bitte schön, ich habe dir dein Thema aufgezeigt, jetzt arbeite daran.”

Fazit

Die Ehre der anderen fällt uns hin und wieder an und teilt uns (meistens weniger nett) mit: „Das kannst Du nicht mit mir machen!” Häufig ziehen wir uns diesen Schuh an und überlegen, was wir falsch gemacht haben, um eine solche Reaktion zu erhalten und beschäftigen uns länger damit.

Ich hoffe, das Erlebnis meiner Freundin bietet Ihnen die Möglichkeit, in Zukunft gelassener damit umzugehen und die entstandene Negativität schnell abzustreifen.

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Blogbeitrag: August 2019 / Bildnachweise: https://pixabay.com/

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