Das Wort „Hochsensibilität” (HSP) taucht verstärkt in den Medien auf und man bekommt das Gefühl, dass immer mehr Menschen erkennen, selbst hochsensibel zu sein, zumindest nehme ich das in meinem Umfeld so wahr.
Was macht eine Person, die hochsensibel ist, denn so besonders? Was sich nach „sensibel, nur viel besser” anhört, ist ein Zwiespalt für den Betroffenen, was der Titel „Fluch oder Segen” verdeutlichen soll. Wenn die negativen Aspekte überwiegen, wird es schwieriger, die positiven Seiten und Möglichkeiten zu bemerken und für ein angenehmeres Leben einzusetzen.
Zur Verdeutlichung möchte ich Ihnen ein Beispiel geben. Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch eine Fußgängerzone. Es ist nicht so voll und während Sie zügig an den Geschäften vorbeigehen, registrieren Sie Folgendes:
Geht ein Mensch, der hochsensibel ist, die gleiche Strecke, in der gleichen Geschwindigkeit, prasseln wesentlich mehr Informationen auf ihn ein.
Das sind noch nicht alle Eindrücke, die der Hochsensible auf einer Strecke von ca. 30 Metern wahrnimmt. In dem Beispiel sind nur die Informationen, die aus dem visuellen Kanal kommen, beschrieben.
Über die anderen Sinne werden weitere Reize aufgenommen, die ebenfalls um ein Vielfaches höher sein können als bei einem Nicht-HSPler: die Gesprächsfetzen der Mitmenschen, die unterschiedlichsten Gerüche und sogar Rempler sorgen für einen weiteren Zustrom von Informationen.
Das Gehirn wird mit Reizen und Eindrücken überflutet und versucht, alles in geordnete Bahnen zu lenken, um die korrekte Verarbeitung sicherzustellen. Eine vorherige Selektion von „wichtig” und „unwichtig”, wie sie bei „Normalos” durch die verschiedenen Filter dem Gehirn vorgeschaltet ist, findet an dieser Stelle nicht oder nur in geringem Maße statt.
Das Gehirn wird ständig gefordert und hat einen dementsprechend hohen Energiebedarf. Der Körper macht mit, so gut er kann, doch irgendwann äußert sich das in z.B. Müdigkeit, einem erhöhten Rückzugsbedarf oder einer „Abschaltungsphase”, um keinen neuen Reizen mehr ausgesetzt zu sein.
Das war nur ein Beispiel von vielen Situationen, die der Alltag mit sich bringt. Wie extrem muss sich das in einem vollen Bus, in geschäftlichen Meetings oder auf größeren Veranstaltungen anfühlen?
Zieht sich der HSPler zurück, sind Kommentare wie „Du kannst doch nicht schon müde sein!”, „Nie bleibst du bis zum Schluss!” oder „Bist du vielleicht eine Spaßbremse, wir wollen doch jetzt noch feiern gehen!” keine Seltenheit.
Geht es um den Kontakt mit Menschen, ist es noch etwas anders. Da werden nicht nur die visuellen und auditiven Impulse aufgenommen, auch olfaktorische und taktile Daten werden per Nase und Tastsinn übermittelt. Zusätzlich sind sie in der Lage, die tieferen Schichten ihrer Mitmenschen wahrzunehmen.
Zum Beispiel kann ein Hochsensibler ziemlich detailliert zuordnen, warum der Gesprächspartner gerade laut wird. Er erkennt häufig den eigentlichen Beweggrund und könnte diesen benennen.
Zusammenhänge erschließen sich einem HSPler wesentlich schneller und mit größerer Klarheit, egal ob es um Lösungen für Projekte geht oder um das, was in einem Menschen vorgeht. Das klingt nach einem Vorteil, aber es wirft direkt ein neues Problem auf.
Der Hochsensible kann meist direkt eine Lösung vorbringen, doch das stößt nur selten auf Gegenliebe. Der normale Mensch fühlt sich eher ertappt, überrumpelt und vorgeführt, als den Hinweis auf eine Lösung anzunehmen.
Es kommt nicht gut an, auf solche Dinge hinzuweisen. Ob aus persönlicher Betroffenheit, persönlichem Neid oder persönlicher Angst: Es gibt nicht viele Menschen unter den „Normalos”, die an dieser Stelle anders reagieren. Wobei es im freundschaftlichen Kontext vermutlich anders aussieht.
Es ist für den Betroffenen – oder für einen mit dieser Fähigkeit gesegneten Menschen – zumeist eine Gratwanderung. Menschen, die hochsensibel sind, können Projekte und Menschen wirklich schnell voranbringen, wenn das Umfeld frei von persönlichen Befindlichkeiten ist und man gemeinsam vorankommen möchte.
Hochsensible können schlecht nachvollziehen, dass ein normaler Mensch bestimmte Zusammenhänge nicht erkennt und verzweifeln daran, dass „unlogisch” agiert wird oder extreme Umwege in Kauf genommen werden, um zu einer Lösung zu gelangen.
Das ständige Einschätzen der besten Herangehensweise ist anstrengend. Die negativen Reaktionen machen den Grat, auf dem man sich bewegt, sehr schmal und „gefährlich”. Immer auf der Hut zu sein, immer mit Gegenwehr, Unverständnis und Neid kämpfen zu müssen, und das bei all der Langsamkeit, wobei es so einfach gehen könnte, das macht wirklich keinen Spaß.
Es lässt sich nicht genau definieren, wie jeder Mensch, ob normal oder hochsensibel mit dem jeweils anderen Menschenschlag umgehen soll, aber mit etwas mehr Verständnis seitens der „Normalos” wird es schon besser.
Die HSPler aus meinem Umfeld haben sich, weil ihnen nichts anderes übrig geblieben ist, mit der Langsamkeit der anderen arrangiert.
Aus der Hochsensibilität resultieren viele positive Aspekte. Wer es schafft, das Beste aus seiner Fähigkeit zu machen, dieses in seiner Tätigkeit mit Erfolg und Wertschätzung einbringen darf und die Nachteile minimieren kann, der ist auf dem richtigen Weg zu einem leichteren Leben.
Einige Fragen zu diesem Thema werden in den Online Impulsvorträgen „Hochsensibilität – eine Gratwanderung!” am 07.03.2022 und 10.06.2022 jeweils um 18.30 Uhr beantwortet und erste Lösungswege aufgezeigt.
Alle Termine, auch für den Stammtisch in Dortmund, finden Sie unter: https://www.echterleben.de/aktuelle-termine/
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Blogbeitrag: September 2019 / Bildnachweise: https://pixabay.com/
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